Bisher kannte ich Krebs nur vom Hörensagen, aus dem Fernsehen, den Medien, dem Internet oder als Delikatesse. Aber selber? Unvorstellbar. Und doch möglich. Plötzlich? Unerwartet? Ohne jegliche Vorwarnung? Oder war da was? Diese Schluckbeschwerden? Starkes Schwitzen in der Nacht. Nicht nur ein bisschen. Einfach eine Erkältung? Krebs? Niemals!
Und dann der obligatorische Arzttermin. Wie jedes Vierteljahr. Ein Lymphknoten am Hals angeschwollen? „Derb“ sagt der Arzt. Sofortige Überweisung zum Hals-Nasen-Ohrenarzt. Noch am selben Tag. Diagnose: Tumor am rechten Zungengrund! Ein Wort, ein Schock! Eine Welt bricht zusammen. Durch ein einziges Wort. Ein Tumor am rechten Zungengrund? Ich bekomme eine Infusion, damit ich wieder auf die Beine komme. Oben ist unten, unten ist oben, nichts ist mehr wie vorher!
Überweisung in die Straubinger Klinik. Erst einmal zur genaueren Untersuchung. 3 Tage Aufenthalt. Entlassung. Scheinbar endloses Warten auf einen OP-Termin. Aber die Wartezeiten sind enorm, da es so viele Patienten gibt. In Deutschland soll es 6,5 Millionen Menschen geben, die an Krebs erkrankt sind? Kaum vorstellbar.
Nach 4 Wochen ist es soweit. Um 9 Uhr früh werde ich in den Operationsraum geschoben. Das ist alles so unwirklich. Aufwachen auf der Intensivstation in einem dunklen Raum mit Blick auf eine große Uhr. Ist es 3 Uhr nachmittags oder 3 Uhr nachts? Als es im Zimmer hell wird, da wird mir bewusst: es wäre 3 Uhr nachts, als ich (gottseidank) wieder aufgewacht bin. Nach 18 Stunden hat man mich langsam „zurück geholt“. Ein Trauma, das mich bis heute nicht los lässt.
Durch das rechte Nasenloch führt ein Schlauch in den Magen, da ich vorerst nicht eigenständig essen und trinken kann. Andere Schläuche führen direkt in die Venen: Antibiotika, Schmerzmittel, Infusionen. Da die Lymphdrüsen am Hals links und rechts entfernt wurden, sind die Schnitte jeweils mit dicken weißen Verbänden abgedeckt und unten führt jeweils ein Abflussschlauch in kleine Auffangsäckchen, die sich langsam mit Flüssigkeit füllen. Kein schöner Anblick. Essen und trinken geht nicht. Das Schlucken fällt schwer, es schmerzt. Den Hals spüre ich nicht mehr. Er ist völlig taub. So wie die Wangen und der Mund nach einem Zahnarztbesuch und vielen Spritzen. Der Hals fühlt sich an, als wenn er nicht zu mir gehören würde. Wie ein Fremdkörper, etwas Totes.
Der Ernährungsschlauch durch die Nase in den Magen ist sehr unangenehm, gelinde ausgedrückt. An Schlaf in der Nacht ist auch nicht zu denken. Ohne Schmerzmittel als Transfusion geht nichts. Am besten helfen mir 1000mg Infusionslösung Paracetamol. Ich werde direkt süchtig danach. So döse ich den ganzen Tag mehr oder weniger vor mich hin. In der Frühe um 7 Uhr ist Visite im Sprechzimmer beim zuständigen Arzt. Bei den „bunten Stühlen“, wie es heißt. Inzwischen sind es weiße Bänke. Solche Kleinigkeiten muntern ein wenig auf. Notwendige Blutdrucktabletten werden mit einem Mörser zu Pulver gerieben und über den Ernährungsschlauch zugeführt, denn Schlucken geht immer noch nicht. Und damit auch nicht essen und trinken.
Die Sehnsucht nach einem Glas Wasser wird jeden Tag größer. Das Essen wird umgestellt auf Brei. Daran nippe ich immer ein bisschen mit der Rückseite des Löffels. Resultat: ich nehme rasant ab. Inzwischen habe ich fast 10 kg weniger Gewicht seit meiner Diagnose. So war das Abnehmen aber nicht geplant. Ich bin froh, dass ich in einem Zweibettzimmer liege. Alleine würde mich die Panik erfassen. Ich kann zwar nicht viel reden und mein Bettnachbar auch nicht, dem es sichtlich schlecht geht. Aber wir verständigen uns mehr oder weniger durch Zeichen, Zunicken und ab und zu mit einem netten Wort. Gut, dass meine Frau jeden Tag schon am Vormittag kommt und mich aufmuntert. Ohne Sie hätte ich die Tage in der Klinik nicht überstanden. Wir gehen die Gänge auf und ab, in den Eingangsbereich der Klinik, wo das Klavier steht, auf dem Hans-Jürgen Buchner, bekannt als „Haindling“, sein eigens komponiertes Musikstück für die Klinik gespielt hat. Ich freue mich, dass ich in der Klinik Straubing untergekommen bin und dort von einem der besten Ärzteteams operiert wurde und weiterhin betreut werde. Ihnen allen, auch dem herzlichen Pflege- und Hilfspersonal gehört mein großer Dank! Sie leisten Großartiges!
Und darum gehe ich jetzt mit „meinem“ Krebs an die Öffentlichkeit: Vielleicht hilft es anderen, einen Krebs frühzeitig zu entdecken. Auf innere körperliche Zeichen zu hören. Rechtzeitig zum Arzt zu gehen. Vielleicht kann ich auch anderen mit dem erlebten Mut geben, Tipps und Hilfestellung. Denn wir sind viele. Und wir brauchen einander.
Endlich zu Hause. Im eigenen Bett. Essen und Trinken fällt immer noch schwer, aber mit einigen Tricks klappt es jeden Tag besser. Ich esse überwiegend Kichererbsenbrei (Humus) mit Rührei oder Apfelmus auf Joghurt. Und lutsche den ganzen Tag das selbst produzierte Eis in großen Mengen: Himbeersirup in ein Eisförmchen eingefüllt, über Nacht ins Gefrierfach und am nächsten Tag gibt es leckeres Fruchteis. Das kühlt herrlich den Hals und löscht den Durst. Waldmeister schmeckt auch lecker.
Ein weiterer Grund, warum ich das alles schreibe? Vielleicht hilft es mir, das Erlebte, Erlittene und das Kommende durch Niederschreiben meiner Gedanken und das Malen von Gemälden besser zu verarbeiten? Denn jetzt beginnen die Bestrahlungen.
Eine Woche vor Beginn der Bestrahlungen musste ich in die Klinik Passau. Dort wurde mir ein sogenanntes PEG in den Bau operiert, Das ist ein Schlauch, der vom Bauch nach außen führt, damit Nahrung zugeführt werden kann. Anfangs waren die Schmerzen ganz schön heftig. Aufstehen oder schnelle Bewegungen waren schwierig. Aber nach einigen Tagen waren die Schmerzen weg und ich habe mich an diesen dünnen durchsichtigen Schlauch gewöhnt. Jeden Tag musste der Verband gewechselt werden und der Schlauch sollte bewegt werden, damit er nicht anwächst. Diesen Part hat zum Glück meine Frau gemacht. Ich habe dann lieber zur Decke geschaut.
Vor der ersten Bestrahlung am Hals wurde eine sogenannte „Maske“ auf Kopf und Schulter angepasst. Ein nettes Wort für ein echtes „Martyrium“. Zumindest habe ich das so empfunden. Etwas großes feuchtes unangenehm Warmes wird über Kopf, Hals und Schultern gestülpt. Scheinbar „endlose“ Minuten verstreichen, bis sich das Material verfestigt. Das hat mich doch geschockt. Beinahe wäre ich in Panik geraten, weil ich keine oder nur wenig Luft bekam. Aber es geht auch vorbei und es ist auch notwendig, denn daraus entsteht die „Maske“, die dann jedes mal bei der Bestrahlung über den Kopf und die Schultern gestülpt wird und extrem straff festgezurrt wird, so dass ich den Kopf nicht mehr bewegen kann. Das ist immer ganz schön stressig und ich nehme vorher Nasentropfen, damit ich gut atmen kann.
Die erste Bestrahlung dauerte etwa 15 Minuten: Aufsetzen der Maske, festzurren. überprüfen, Markierungen anbringen, Fotos. Es halfen mir Atemübungen und autogenes Training, um diese quälenden Minuten zu überstehen. Die nächsten Bestrahlungen sollen kürzer sein.
Die nächste Bestrahlung war kürzer, geschätzte 10 Minuten. Fest verschnürt unter der Maske. Es ist „unangenehm“, fühlt sich „bedrohlich“ an und das Schlucken fällt mit der Zeit schwerer und schwerer, da die Maske auf den Kehlkopf drückt. Die starre Kopf- und Körperhaltung auf der Liege ist nichts für schwache Nerven. Mir hilft, wie oft in solchen Fällen der Anspannung autogenes Training, das Aufsagen von Sätzen wie „Ich atme, er atmet, usw.“ oder „Mein Körper wird locker und schwer, meine Schultern sind ganz entspannt“. Solche Übungen haben wir in der Schule vor dem Abitur, also vor ewigen Zeiten, bereits geübt, um den Abistress besser zu meistern. Gute alte Zeit? Ja! Wenn ich nach ca. 10 Minuten den Satz höre „Geschafft!“, dann ist das wie eine Erlösung. Die Maske wird geöffnet. Noch habe ich 26 Bestrahlungen vor mir. „Step by step“ sagt der „Marsianer“.
Vielleicht kennt der eine oder andere den Film „Der Marsianer – Rettet Mark Watney“. Der Roman ist von Andy Weir und ist spannend zu lesen und sehr empfehlenswert. Die Hauptperson im Film spielt eindrucksvoll Matt Damon. Er wird nach einem Unwetter auf dem Mars alleine zurückgelassen, da die Crew davon ausgeht, dass er bei einem Unfall während des Unwetters ums Leben gekommen ist. Warum erzähle ich von diesem spannenden Film? Für mich ist vom Film oder dem noch besseren Buch geblieben: Niemals aufgeben, auch wenn die Situation noch so prekär ist, ein Überleben fast nicht möglich ist und ganz wichtig: immer „Schritt um Schritt“ weiter gehen: „Step by step“. Jeden Tag ein bisschen weiter.
P.S. Der Marsianer bzw. im Film Matt Damon hat es geschafft zu überleben und auf die Erde zurückzukehren. Mein Lieblingsfilm!
Morgen ist wieder so ein Schritt nach vorne. Auch wenn er quält. Die nächste Bestrahlung steht an und dann die nächste…Es wird langsam Routine. Die Angst vor Schluckbeschwerden oder Schmerzen im Hals werden allerdings größer. Nach 2 Wochen soll es damit anfangen? Ich hoffe nicht und gurgle so oft wie möglich Salbeitee und mache Übungen gegen Schluckschwierigkeiten. Bei „youtube“ gibt es zahlreiche Übungen zum nachmachen.
Heute hatte ich bereits die 13. Bestrahlung. Jeden Tag werden die Schluckbeschwerden etwas stärker und ich habe mein Frühstück auf Griesbrei mit Apfelmus umgestellt. Auch trinke ich inzwischen lieber Fertignahrung aus Fläschchen mit einem Strohhalm. Das ist angenehmer als feste Nahrung, schmeckt aber nicht so gut. Aber es geht und ist im Moment besser als Ernährung über das PEG direkt in den Bauch. Bestrahlungen sind eben kein Wunschkonzert und wie sagte mein HNO-Arzt: „Die Bestrahlungen sind eine Chance zum Leben“. Also nutze ich diese Chance und ertrage die Nebenwirkungen. Eine Alternative sehe ich nicht.
Übrigens esse ich wieder viel selbst hergestelltes Eis: Himbeere, Waldmeister, Holunder, Blaubeeren. Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt und es kühlt wohltuend den Hals. Darauf kann und will ich nicht mehr verzichten, denn es verbessert das Schlucken enorm.
Es geht auch nicht mehr ohne Schmerzmittel: Ibuprofen, Paracetamol, Novamin und ähnliches. Ibuprofen morgens vor der Bestrahlung, Paracetamol abends vor dem Schlafen. Das macht schon ein bisschen süchtig. Gut, wenn ich wieder darauf verzichten kann.
Noch 2 Bestrahlungen und dann ist Wochenende. Dann sind 3 Wochen geschafft und Samstag und Sonntag sind Ruhetage. Bis Montag. Immerhin!
Der Hals fühlt sich immer noch wie tot an. Als würde er nicht zu meinem Kopf gehören. Ob das irgendwann einmal besser wird? Wahrscheinlich nicht oder nicht so schnell, denn mit den Lymphdrüsen wurden wohl auch einige Nerven „entfernt“. Aber ich bin am Leben! Und das ist gut so!
So schnell magert ein Mensch also ab, wenn er nicht richtig essen und trinken kann. Ich kann es nicht fassen. Am Hals links und rechts zwei dicke Verbände, die täglich gewechselt werden. Wenigstens sind die beiden Schläuche entfernt, die unten aus den Verbänden rauskamen und mit zwei Plastiksäckchen verbunden waren und die sich langsam mit Flüssigkeit füllten. Durch das rechte Nasenloch führt ein Schlauch in den Magen, um die Ernährung und das Trinken sicher zu stellen und um aufgelöste Medikamente zuzuführen. Ohne Wasser geht nichts. Essen fehlt mir weniger. Aber die Zuführung von Nahrung über den Nasenschlauch war schon echt unangenehm.
Inzwischen habe ich die ersten 10 Bestrahlungen hinter mir. Daran gewöhnt habe ich mich allerdings noch nicht und es stehen noch 20 Bestrahlungen aus. Aber das Wochenende ist eine neue wunderbare Erfahrung. Zwei Tage ohne Bestrahlung, zwei Tage ohne diese enge Maske über dem Kopf, die insbesondere das ohnehin schwierige Schlucken erschwert. 10 Minuten durchhalten, eine Geschichte ausdenken, dahinschweben und dann heißt es wieder: „geschafft“! Und die Maske wird entfernt! Eine Erlösung!
Nun sind es „nur“ noch 5 Bestrahlungen, die vor mir liegen. Viel essen geht nicht mehr, trinken schon. Zum Glück gibt es kleine Trinkfläschchen, wo alles Lebensnotwendige drin sein soll. Diese Fläschchen lassen sich auch über das PEG problemlos zuführen. Mehr oder weniger egal, denn beim Trinken habe ich ohnehin keinen Genuss mehr, da jeglicher Geschmack fehlt. Alles schmeckt gleich. Ob Himbeere oder Zitrone. Der fade Geschmack bleibt. Das ist schon deprimierend. Aber ich habe 25 Bestrahlungen geschafft, dann werde ich die nächsten 5 Bestrahlungen auch noch „überleben“.
Der Hals ist inzwischen knallrot und fühlt sich nicht mehr gut an. Im Freien und insbesondere bei Sonneneinstrahlung trage ich deshalb ein dünnes Tüchlein um den Hals. Das schützt den wunden Hals. Was mir persönlich hilft, das ist der Wirkstoff Dexpanthenol. Einmal äußerlich auf die roten Stellen aufgetragen und andererseits als Lösung zum Gurgeln. Daneben spüle ich den Mundraum mit einem Antimykotikum, was mir ebenfalls ein besseres Mundgefühl gibt. Morgen sehen wir weiter! Ein mulmiges Gefühl habe ich schon, ob all die Bestrahlungen den Tumor vertrieben haben!? Wie immer also abwarten und das Beste hoffen.
So in etwa sieht das Gerät aus, das mich bestrahlt. So habe ich es mir zumindest vereinfacht eingeprägt und durch Recherche im Internet gemalt. Und Teile davon drehen sich tatsächlich um meinen Kopf herum. Das sehe ich zwar nicht, wenn ich liege und die Maske über meinen Kopf gestülpt ist. Unter der Maske sehe ich nichts und orientiere mich an den Klick- und Geräuschen. Aber einmal, als ich in den Bestrahlungsraum kam, da drehte sich das „Ungetüm“ noch ein wenig. Schon beeindruckend und etwas Angst einflößend.
Jetzt sind es nur noch 2 Bestrahlungen. 28 Bestrahlungen habe ich hinter mir. Kaum zu glauben. Entsprechend sehe ich aber aus: knallroter Hals wie ein Rotkehlchen (nur ohne Federn) und die Barthaare sind auch ohne Rasierer verschwunden. Wenigstens ein kleiner Vorteil. Das tägliche Rasieren entfällt. Montag ist dann die letzte Bestrahlung mit Abschlussbesprechung. Wie wird es dann wohl weitergehen? Ist der Krebs verschwunden. Versteckt er sich irgendwo? Wurde eine Krebszelle übersehen? Hat sich versteckt? Es wird wohl nie wieder so sein wie früher. Die Unbekümmertheit ist verloren. Die dreiwöchige Reha in Bad Reichenhall ist erst im Oktober. Ich hoffe, ich kann bis dahin wieder normal, also durch den Mund essen und trinken. Ich hoffe es zumindest.
Die vorletzte Bestrahlung war echt hart. Meine Halsfarbe ist von rot auf dunkelrot gewechselt. Die Haut brennt, als hätte ich den ganzen Tag in der prallen Sonne gelegen. Und der Hals fühlt sich an wie zugeschnürt, wie in einem Schraubstock. Wie bei einem starken Sonnenbrand beginnen sich einzelne Hautpartikel zu lösen. Hoffentlich geht es mir bis Montag wieder etwas besser. Die eine Bestrahlung muss ich noch schaffen. Die „Maske“ darf ich dann mitnehmen. Quasi als Geschenk des Hauses. Na gut, ansonsten wäre sie weggeworfen worden. Sie wurde schließlich passgenau für mich hergestellt. Ich werde sie dann fotografieren und für euch einstellen. Ihr werdet staunen, wie groß die „Maske“ ist. Also ruhe ich mich jetzt erst einmal aus und warte auf Montag. So schnell muss der Tag aber auch wieder nicht kommen. Ich will doch nicht drängeln. „Step-by-step“!
Tja, das ist die ungeliebte, aber notwendige „Maske“. Für 30 Bestrahlungen exakt für meinen Kopf und meine Schultern erstellt. Das Material fühlt sich hart an. Muss es auch sein. An der Seite sind so Plastikschienen, mit denen die Maske auf der Liege fixiert wird. Der Kopf darf sich nicht bewegen können. 10 Minuten in Starre.
Die letzte Bestrahlung habe ich noch einmal „in vollen Zügen genossen“. Nun beginnt wieder das Warten. In 6 Wochen gibt es in der Radiologie in Passau wieder ein Arztgespräch. Zuvor, einen Termin beim HNO-Arzt. Ruhe sieht anders aus. Aber immerhin, erstmal keine weiteren Bestrahlungen und der Körper kann ein bisschen entspannen. Ist das nicht herrlich? Es ist ein tolles Gefühl.
Mit der PEG, also der Sonde im Bauch, wurde mir erst einmal die Hoffnung genommen, dass diese bald entfernt werden würde. Das wird wohl eher noch einige Monate so bleiben müssen. Nicht schön. Aber bei einer eventuell notwendigen weiteren Operation will ich auf keinen Fall eine „Nasensonde“ zur kurzfristigen Ernährung bekommen. Dann doch lieber PEG, auch wenn es nicht gerade meinen ästhetischen Vorstellungen entspricht.
„Step-by-step“. Hurrah, ich lebe noch!
Tag 5 nach Ende der Bestrahlung: ich komme mir vor wie auf einem großen Ozeandampfer, der zwar die Maschinen gestoppt hat, aber immer noch weiter fährt. Der Hals ist immer noch knallrot und ich soll jetzt auch eine Cortisonsalbe zweimal täglich auftragen. Bisher sehe ich aber noch keinen Erfolg. Der Hals ist immer noch wie in einem Schraubstock gefangen, fühlt sich taub an wie die Backen nach einem Zahnarztbesuch mit vielen Spritzen und essen kann ich auch nicht. Zum Glück aber wenigstens trinken. Und trinken ist das Wichtigste. Morgens ist mir zur Zeit meistens schlecht und nachts sitze ich mehr oder weniger aufrecht im Bett, da mir das Schlucken Beschwerden bereitet, bis ich irgendwann in den Schlaf rutsche. Wenn gar nichts geht, dann setze ich mich mitten in der Nacht vor die Staffelei und male. Das entspannt und ich komme auf andere Gedanken.
So vergeht ein Tag nach dem anderen in der Hoffnung, dass es doch endlich einmal besser werden könnte. Vielleicht nächste Woche?
Die Hoffnung ist kein guter Freund. Es hat sich noch nicht viel verändert. Der Hals ist immer noch rot und das Schlucken bleibt ein Problem. Aber wie sagte der Arzt in der Radiologie: „Das kann dauern“. Also warte ich mal wieder auf die nächste Woche. Mal sehen, was der HNO-Arzt sagt, wenn ich bei ihm bin. Er hat den Tumor entdeckt und alle weiteren Schritte professionell eingeleitet. „Dafür sei er da“, hat er gemeint. Also ist er mein erster und wichtigster Ansprechpartner.
Dieses Gemälde habe ich gemalt, als es mir nicht so besonders gut ging. Das grüne „Wabbernde“ soll mein Tumor sein. Na ja, ob er grün ist bzw. war, das kann ich natürlich nicht sagen. Ich habe ihn nicht gesehen. Aber so giftgrün könnte ich mir den Tumor schon vorstellen. Das Schiff symbolisiert meine Gefühle. Ich treibe oben auf dem grünen „Wabber“ dahin, ohne die Richtung zu kennen. Geht es Richtung Sonne oder geht das Schiff im grünen „Wabber“ unter? Warten wir es also ab! Etwas anderes bleibt mir ohnehin nicht übrig.
Zwei Wochen sind vorbei nach 30 Bestrahlungen in der Radio-Log Passau. Die Rötung am Hals hat wie vorhergesagt nachgelassen. Im Hals sieht es noch nicht so gut aus, zumindest vom Gefühl. Aber es geht aufwärts.
Darum ist das neue Gemälde schon wieder etwas farbiger. Mit etwas Fantasie – strengt euch an – soll das Türkisfarbene meinen Tumor darstellen, wie er so dahin wabert. Das Schiff symbolisiert mein Ich, das sich dagegen stemmt und versucht, den Tumor zu umschiffen. Entweder segelt es der Sonne entgegen oder es kracht an die Klippen. Die Sonne ist mir lieber und den Prognosen entsprechend ist die Wahrscheinlichkeit dafür die größere. Aber ein Restrisiko bleibt immer bestehen, auch wenn der Tumor zur Gänze wegoperiert wurde und eventuelle Reste durch die Bestrahlung zerstört wurden. Die Prognosen sehen also gut aus. Es kommt wieder Farbe in mein Leben und in meine Gemälde.
Tag um Tag wird mein Befinden besser. Tatsächlich kann ich wieder etwas essen, wie jeder andere Mensch auch. Einfach fantastisch. Endlich wieder Gemüse, ein „Fleischpflanzerl“, Reis, Nudeln, ein Brot. Für jeden eine Selbstverständlichkeit. Für mich ein ganz neues Gefühl, insbesondere weil die Geschmacksnerven auch wieder beginnen ihre normale Arbeit zu tun. Eine Tomate schmeckt nach Tomate, eine Gurke nach Gurke. Ich kann es noch nicht fassen.
Das PEG bleibt noch weitere zwei Monate mein ungeliebter Gast. Kein Notfall, kein Operationstermin. Das ist schon ärgerlich. Einen Operationstermin zu bekommen ist fast schon wie ein Sechser im Lotto.
Ich habe gedacht, dass es jeden Tag ein bisschen besser wird mit meinem Hals. Leider ist es nicht so. Mir scheint, mit jedem weiteren Tag, den ich mich vom Ende der Bestrahlung entferne, wird es ein bisschen schlechter. Der Hals fühlt sich dick und geschwollen an. Also, es ist noch nicht überstanden. Das Warten auf eine Besserung geht weiter.
Damit verbunden ist die ständige Müdigkeit, die langsam lästig wird, denn es fehlt der Antrieb etwas aktiv zu unternehmen. In der medizinischen Fachsprache wird diese Müdigkeit „Fatique-Syndrom“ genannt. Klingt umständlich, ist es auch, denn am liebsten würde ich nur noch im Bett liegen und vor mich hin dösen. So hatte ich es mir 6 Wochen nach der letzten Bestrahlung nicht vorgestellt. Mit step-by-step hat das nichts mehr zu tun, wenn es statt vorwärts nun auf einmal wieder rückwärts geht. Na dann auf zur Reha. Mal sehen, ob mir dort geholfen werden kann?
Noch kurz vor der Reha habe ich das „wabbernde Etwas“, also meinen gemalten Tumor (siehe oben), in ein theatralisches Gemälde „transformiert“, um einen aktuellen Begriff aus der Politik zu verwenden. Es ist meine Interpretation des „Fliegenden Holländers“ von Richard Wagner, einem meiner Lieblingskomponisten. Diese Szene gab es bei der Uraufführung am 2.1.1843 im Königlichen Hoftheater Dresden natürlich nicht. Ansonsten wäre das Opernhaus womöglich von den Wassermassen überschwemmt worden und hätte insbesondere den Orchestergraben überflutet, was für das Orchester nicht so gut gewesen wäre. Nachträglich betrachtet ist das Motiv auch nicht gerade ermutigend, denn die junge Dame, Senta, hoch oben auf dem Felsen stürzt sich aufopfernd in die Fluten des Meeres. Das Schiff versinkt in den tobenden Wogen des Meeres und der „Holländer“ ist endlich erlöst. Was habe ich mir nur bei diesem Motiv gedacht? Hoffnung sieht anders aus. Mit dem nächsten Gemälde werde ich das ändern! Unbedingt! Aber erst nach der Reha (Rehabilitation in einer Kurklinik).
Also nun zu meiner Reha. Drei Wochen wurden dafür festgesetzt. Wie ist der Ablauf? Es beginnt wie alles mit der Ankunft: „Grüß Gott, gute Reise gehabt?“ Eine Krankenschwester (gibt es auch einen Krankenbruder?) bringt mich auf mein Zimmer. Es ist erstaunlich groß und hat zwei Betten. Eines für mich und eines für eine mögliche Begleitperson, also z.B. für meine Frau. Der Raum ist hell und freundlich. Die Möbel in rötlichem Holz. Angenehm. Eine kleine Sitzecke mit 2 bequemen Stühlen sind ebenfalls vorhanden. Ebenso ein schwenkbarer Flachbildschirm mit den üblichen Sendern, jedoch ohne Zugang zu „youtube“, was sehr schade ist, da ich mich dort weltweit informieren kann, was heutzutage keine Selbstverständlichkeit ist. Aber für drei Wochen ist das zu schaffen. Ich muss mich auf meine Therapien konzentrieren. Neben dem Bett auf einem kleinen Schreibtisch steht ein Telefon mit einer Direktdurchwahl zur jeweils diensthabenden Krankenschwester. Auch ein Notruf ist vorhanden. Das gibt schon einmal ein gutes Gefühl. Das Bad ist mit einer gut zugänglichen Dusche ausgestattet und hat zwei Waschbecken. Handtücher sind genügend vorhanden, auch Toilettenpapier (oft ein Katz und Maus Spiel in so manchem Hotel). Hier werde ich also die nächsten drei Wochen verbringen: kein Luxus, kein Schnickschnack, alles ist praktisch und gemütlich. Was will ich mehr?
Als nächstes steht das obligatorische Gespräch mit der Stationsärztin auf dem Programm. Ich werde untersucht und mir werden Vorschläge gemacht, wie die Therapie der nächsten Wochen aussehen könnte: Lymphdrainage, körperliches Training im Kraftraum, Entspannungstherapien, Walking in der freien Natur, Gedächtnistraining, Inhalieren und vieles mehr. Ich werde später auf die einzelnen Punkte eingehen.
Nächster Tagesordnungspunkt von 17.30 Uhr bis 18.30 Uhr ist dann schon das Abendessen im Speisesaal. Mir wird ein Platz an einem Tisch zugeordnet, an dem bereits zwei weitere Männer sitzen. Beide sehen nicht gerade gesund aus. Für sie gibt es speziell püriertes Essen, also Fleisch als Püree oder Gemüse als Püree. Sieht gut aus. Schmeckt wohl auch gut. Für mich gibt es als „Vorspeise“ erst einmal eine warme Suppe. Na, das fängt doch schon gut an. Es gibt Wurstsalat, Salate in vielen Variationen. Wurst- und Käseaufschnitt. Für jeden ist etwas dabei. Keiner muss verhungern.
Für die erste Woche habe ich einen Therapieplan erhalten. Langeweile wird also nicht auftreten.
Wie sieht so ein Tag aus? 7.30 Uhr bis 8.30 Uhr ist Frühstück angesagt, d.h., ich muss um 6 Uhr aufstehen, damit ich zum Frühstück einigermaßen fit bin. Das ist zu schaffen, denn lange kann ich in der neuen Umgebung ohnehin nicht schlafen. Es gibt Frühstück wie in einer normalen Frühstückspension, eher wie in einem Hotel. Eine große Kaffeekanne steht auf dem Tisch. An einem Buffet entdecke ich ein leckeres bereits fertig angerührtes Müsli. Etwas Joghurt zusätzlich oben drauf und einen großen Löffel mit wirklich frisch geschnittenen Früchten, echt lecker. So kann der Tag doch beginnen. Und der Kaffee scheint nie auszugehen. Und falls doch, die nächste Kanne ist nicht weit. Das Servicepersonal ist sehr nett und hilfsbereit.
Danach geht es zum Inhalieren in einen speziellen Inhalationsraum. Pünktlichkeit wird geschätzt. Ich setze mich im Gang auf einen Stuhl wie weitere Patienten auch und werde pünktlich namentlich aufgerufen. Eine freundliche Frau erklärt mir, wie ich inhalieren soll. Einatmen durch die Nase und Ausatmen durch den Mund. 10 Minuten lang. Sehr angenehm. Eine Wohltat.
Danach Gerätetraining. Also rasch die Jeans mit einen Trainingsanzug tauschen und ab in den Fitnessraum. Hier werde ich in einzelne Geräte eingewiesen, die ich künftig selbständig nutzen kann. Ich setze mich erst einmal auf einen Ergometer und radle langsam vor mich hin. Danach noch ein Gerät für den Rücken und die halbe Stunde ist geschafft. Mehr will ich mit dem PEG nicht riskieren.
Jetzt geht es auf eine Massageliege. Der Masseur ist kein Mann mit kräftigen Händen, nein, die Liege selbst knetet mich durch. 15 Minuten entspanntes Liegen bei gleichzeitiger Massage von unten durch sich hin und her bewegende Rollen. Tut gut.
Danach gibt es schon wieder Mittagessen von 11.30 Uhr bis 12.30 Uhr. Hunger habe ich noch keinen. Aber das Essen ist lecker und es gibt für fast jeden etwas. Natürlich auch die obligatorische warme Suppe.
Nach dem Essen gibt es tatsächlich eine manuelle Massage. Ein Masseur, der die verspannte Muskulatur ganz vorsichtig und behutsam bearbeitet ist schon eine Wohltat.
Danach noch eine Entspannungstherapie in der Gruppe mit leiser Musik und den begleitenden Worten „Du liegst auf einem warmen Sandstrand, das Meer rauscht“ oder so ähnlich. Es gibt wirklich Patienten, die beginnen auf einmal an zu schnarchen. Mir gelingt das leider (noch) nicht.
Und dann gibt es schon wieder Abendessen. Ich habe wieder keinen Hunger. Aber der bayerisch angemachte Wurstsalat überzeugt mich dann doch.
P.S. Alkohol ist auf dem gesamten Gelände tabu! Das ist o.k. für mich. Ich trinke ohnehin keinen Alkohol. Außer gelegentlich ein bayerisches Bierchen. Aber eben nur gelegentlich und eher selten. Die Brauereien mögen es mir verzeihen. Und die Weinbauern werden auch ohne mich ganz gut überleben.
Aber zurück in die Reha-Klinik. Am angenehmsten ist die sogenannte Lymphdrainage. Da die Lymphdrüsen am Hals beidseitig entfernt werden mussten, besteht nun das Problem, dass die Lymphflüssigkeit keinen geeigneten Abfluss mehr hat und sich neue Wege suchen muss. Dabei soll die Lymphdrainage helfen. Dazu lege ich mich auf eine Liege, unter die Knie kommt ein bequemer Wulst und der „Masseur“ befindet sich hinter meinem Kopf. Als Massage kann dieser Vorgang jedoch nicht bezeichnet werden. Eher als ein sanftes Bewegen von Hand und Fingerkuppen auf Kopf und Hals. Ich verspüre keinen Druck, nur ein angenehmes warmes Gefühl. Diese Lymphdrainage, die so ca. 15 Minuten lang dauert, ist das absolute Highlight und ich freue mich auf jeden weiteren Termin, den ich bekomme. Eines ist aber wichtig. Es ist schon eine besondere Verantwortung des „Masseurs“, eine Lympdrainage am Hals durchzuführen. Letztlich war hier der Tumor und wir wollen ja nicht, dass er sich nachträglich durch eine wilde Massage verbreitet. Das Risiko kann rein theoretisch bestehen, meint mein HNO-Arzt.
Inzwischen kann ich viele Patienten der Reha verstehen, die gerne noch um ein/zwei Wochen verlängern möchten. Warum? Weil hier alles unter einem Dach ist. Ärzte und Krankenschwestern stehen in einer Notsituation bereit. Es ist Tag und Nacht jemand erreichbar. Dann die tägliche Routine bei den einzelnen Therapien. Nur wenige Schritte vom Zimmer entfernt. Wie sieht es zu Hause aus? Jeder ist wieder für sich selber verantwortlich. Auf sich gestellt. Welcher Arzt macht was? Wer bietet eine entsprechende Lymphdrainage an? Was sind die nächsten Schritte der Behandlung und wo? Wer unterstützt, wenn Probleme auftauchen? Nicht jeder hat eine Frau zu Hause, die einen unterstützt. Zu Zweit ist alles doch leichter. Natürlich hat es Hilfsdienste, die den Kranken zu Hause besuchen und unterstützen. Aber nach wenigen Minuten sind sie wieder fort und dann beginnt erneut die Leere. Das stelle ich mir nicht leicht vor, auf diese Weise mit seiner Krankheit zu leben. Zu Zweit geht alles leichter! Aber das sagt sich leicht, mit einem „Engel“ an der Seite.
Die Nebenwirkungen der 30 Bestrahlungen dauern an. Manchmal habe ich das Gefühl, sie verstärken sich. Ich bin mir aber nicht sicher. Zu schnell wird der Zustand vergessen, wie er vor einigen Wochen war. Geht es also aufwärts oder abwärts? Mein HNO-Arzt hat mir von einer Lymphdrainage eher abgeraten. Ja, diese Lymphödeme sind schon sehr unangenehm. Zum einen sieht der Hals aus wie bei einem Truthahn. Nicht ganz so stark ausgeprägt, aber vom Ansatz her doch eine gewisse Ähnlichkeit (der Schnabel fehlt). Der Hals fühlt sich an, als wäre er in einem Schraubstock und irgend jemand dreht ihn enger und enger. Das Atmen ist erschwert, das Schlucken ohnehin und das gesprochene Wort hört sich anders an als gewohnt. Was hilft? Ich mache kalte Halsumschläge. Das bringt eine gewisse Linderung. Ich lutsche selbst gemachtes Himbeer- oder Waldmeistereis. Das bringt eine gewisse Zeit auch ein besseres Halsgefühl. Ich mach gewisse Übungen, wie ich sie bei youtube gesehen habe. Zum Beispiel das „Apfelpflücken“. Ob all das hilft? Ich kann es nicht sagen. Aber vielleicht ginge es mir ohne all das noch schlechter. Ach ja, ich habe auch eine spezielle Creme bei Hautschäden hervorgerufen durch Bestrahlungen. Diese Spezialcreme trage ich zweimal am Tag auf die betroffene Haut auf und tätschle sie gefühlvoll in die Haut ein. Ganz langsam von oben nach unten. Es entsteht ein leicht prickelndes Gefühl auf der Haut. Angenehm. Ob es wohl hilft?
Nun stehen die nächsten Termine fest: das sogenannte MRT, also die Magnet-Resonanz-Tomographie, in der Radiologie Passau. Dabei wird – wenn ich das richtig verstanden habe – nach versteckten Krebszellen gesucht, die mit den Augen und einfachen Hilfsmitteln des Arztes nicht gefunden werden können. Danach folgt eine Untersuchung in der Klinik, wo der Tumor entfernt wurde, also in Straubing. Es gibt Schöneres, aber was sein muss, das muss eben sein. Lieber rechtzeitig „Etwas“ entdecken, als zu spät. Packen wir es also an!
Step 1: Das MRT bei RadioLog in Passau.
Mein erster Eindruck: Einfach strukturiert, freundlich hell, ohne Schnörksel, modern, fast schon ein bisschen futuristisch. Unterlagen werden am Empfang abgegeben. Das „übliche“ Formular muss ausgefüllt werden, ich bekomme einen kleinen Zettel mit einem IQ-Code und dann geht es auch schon ab in den Warteraum. Angenehme bequeme Sitze und ein warmes Wandlicht erwarten mich. Lange muss ich nicht warten. In einem separaten Raum wird ein Zugang zur Vene gelegt für das notwendige Kontrastmittel. Kein Problem. Etwas warten und dann geht es schon in die „Röhre“. Natürlich ohne Metallteile am Körper, um das Magnetfeld nicht zu stören. Die „Röhre“ sieht völlig unspektakulär aus. Angstgefühle stellen sich nicht ein. Rauf auf die Liege, Beine wie immer hoch gelegt, Kopfhörer auf die Ohren, Musik (leider keine klassische) beginnt und rein in die „Röhre“.
Es rattert und scheppert und ich stelle mir vor, ich befinde mich in einem Passagierflugzeug im Steigflug. Nur etwas extremer. So viele laute und vielfältige Geräusche gibt es gottseidank beim Steigflug dann doch nicht. Sonst würde ich doch künftig lieber nur noch Auto fahren. Es dauert und dauert. Kann eine Viertelstunde so lange sein? Zumindest hatte ich „eine Viertelstunde“ verstanden. Bei dem Gerattere und der Musik geht mir das Zeitgefühl völlig verloren. Aber dann ist es doch vorbei. Aufstehen, in der Kabine wieder anziehen, fertig. Keine Besprechung, nur der IQ-Code soll mich informieren. Ab nach Hause. Für heute reicht es.
Wieder zu Hause tippe ich die Adresse auf dem kleinen Zettel in den PC ein und komme auf eine Seite, auf der ich einen Code eingeben muss und mein Geburtsdatu. Die Seite öffnet sich und ich kann mir die Aufnahmen der MRT ansehen. Ich kann die Aufnahmen vergrößern, verkleinern, hin- und herschieben. Ich sehe meinen Kopf, meinen Hals. Die Bedeutung bleibt mir letztlich verschlossen. Ich kann die Aufnahmen beim besten Willen nicht interpretieren. Und dann die Information, dass ich volle 3 Tage warten muss, bis ich den Arztbrief lesen darf. Wieder 3 volle Tage warten. Wieder die bange Frage, zeigen die Aufnahmen etwas Außergewöhnliches? Etwas, das ich nicht sehen möchte? Warten bis Samstag früh, 10.13 Uhr. Ich verstehe nicht warum?
Samstag früh, 10.13 Uhr. Ich kann den Arztbrief lesen. Wirklich verstehen kann ich den Inhalt nicht. Zumindest steht nichts von Metastasen oder Ähnlichem drin. Ein gutes Zeichen? Wir werden sehen, denn am Montag geht es zur weiteren manuellen Untersuchung ins Klinikum Straubing. Frohe Weihnachten sehen anders aus!
Klinikum Straubing: Anderthalb Stunden Anfahrt. Das Parkhaus liegt direkt gegenüber dem Haupteingang. In der Anmeldung eine Nummer ziehen und schon bin ich dran. Ich bin überrascht, wie schnell alles geht. Mit den Unterlagen geht es nun zur Anmeldung in die HNO Abteilung. Auch dort geht alles schnell und unproblematisch. Danach geht es in den dritten Stock zur Station 34. Diese Station war Dreh- und Angelpunkt für meine Operation und hier hatte ich mein Bett für 10 Tage. Die Erinnerungen kommen wieder hoch. Alles sieht immer noch so aus wie vor einem halben Jahr. Die „Gesichter“ sind auch noch die selben. Nichts hat sich geändert. Es sind nur andere Patienten da. Nun geht es zu den Untersuchungsräumen bei den weißen Bänken. Und hier beginnt das Warten. Und mit mir warten viele weitere Patienten. Solche von der Station und solche, die zur Nachsorge da sind. Gesund sieht hier keiner aus. Warten. Mein vereinbarter Termin verstreicht. Es vergeht ein weitere Stunde. Aber warten bin ich inzwischen gewohnt. Es gehört zur Krankheit inzwischen irgendwie dazu. Ich bin geduldig geworden. Leider sind diese weißen Bänke ganz schön hart. Aber auch das geht vorbei und ich bekomme meine Untersuchung. Gefühlt dauert es eine halbe Stunde. Alles ist soweit in Ordnung. Ich darf gehen. Allerdings nur zurück zur HNO Abteilung, wo das Abschlussgespräch mit dem Chefarzt sein soll. Na, das wird wohl schnell gehen, denke ich. Leider nicht, denn es warten viele Patienten in der ambulanten HNO-Abteilung. Alle rutschen ungeduldig auf den Stühlen hin und her. Ich bin eben nicht der Einzige. Also wieder warten und warten und warten. Es ist Nachmittag geworden und dann der große Moment. Die Besprechung meiner Untersuchung vom Vormittag. Alles geht schnell und trotzdem gründlich und ich bin fertig (physisch und psychisch).
Fazit: Ich möchte keine Minute dieses Untersuchungsmarathons missen. Es hat mir ein gutes Gefühl gegeben. Alle haben sich sehr intensiv und professionell um mich gekümmert. Das Warten hat sich also gelohnt. Jederzeit wieder gerne, aber vielleicht doch nicht ganz so schnell. Der nächste Termin soll in ungefähr einem halben Jahr sein. Ich habe Warten gelernt und Geduld. Das erinnert mich ein bisschen an das Buch, das ich mir zur Zeit zum Entspannen vor dem Einschlafen anhöre: „Shogun“ von James Clavell. Wie immer ist das Buch viel besser als all die Filme, die gedreht wurden. Die Japaner in diesem Buch und in dieser Zeit, also zwischen 1600 und 1620, lernen schon frühzeitig Geduld zu haben. Geduld zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte und natürlich „Karma“. Meine Krankheit ist dann also mein „Karma“? „Karma“ hört sich zumindest besser an als „Tumor“ oder „Krebs“? Was ich wohl in meinem vorherigen Leben „falsch gemacht habe“, um mit dieser Krankheit bestraft zu werden? Ich kann mich beim besten Willen an keines meiner früheren Leben erinnern und somit auch an keine Schandtaten. Aber unserem christlichen Gott scheint es auch nicht zu interessieren, wer an Krebs erkrankt und wer nicht. Einen besonderen Sinn erkenne ich nun wirklich nicht darin. Millionen Menschen alleine in Deutschland leiden an irgendeinem Krebs. Ob jung oder alt. Das spielt keine Rolle. Was also soll das schreckliche Leiden in den Krankenhäusern? Wem nutzt diese Krankheit? Ich will jetzt nicht makaber sein, aber hätte „Gott“ einen Tumor im Hals, vielleicht würde er mit uns Menschen gnädiger umgehen? Vielleicht würde er uns auch ganz davor verschonen? Aber das ist nur ein Gedankenspiel. So wie die Japaner mit ihrem „Karma“. Wenn es betrifft, der weiß was ich damit meine.
Wie angekündigt habe ich nun mit einem neuen Gemälde begonnen, das farbenfroh und fröhlich sein soll/sollte. Denn es geht mir gut und alle bisherigen Untersuchungen haben nichts Negatives ergeben. Ich muss also kein tristes Schreckensszenario wie am Beginn meiner Krankheit malen. Es will mir aber nicht gelingen. Das Rot verdüstert sich, ins Blau schleichen sich dunkle Nebel ein, selbst das Gelb wird schmutzig und leuchtet nicht. Wahrscheinlich bin ich doch noch nicht so weit unbekümmert und unbeschwert zu malen?
Aber ein Anfang ist gemacht. Mal sehen, was sich aus diesem ersten Entwurf entwickeln wird. Aus meinem gemalten Tumor wurde immerhin und letztendlich eine Szene aus dem „Fliegenden Holländer“ nach Richard Wagner. Also Geduld. Es wird schon werden? Oder? Immer diese Zweifel?
Aber nun ist erst einmal Weihnachten, das Fest der Liebe und Zuversicht.
Trotzdem plagen mich täglich die Nachwirkungen der Operation (ein halbes Jahr her) und der Bestrahlungen (4 Monate her). Die Lypmphflüssigkeitsansammlungen (was für ein Wort) am Hals sind mehr als lästig. Besonders nach dem Aufwachen ist es besonders schlimm. Die Ärzte sprechen von einem „geringen“ Lyphödem am Hals. Da frage ich mich, was dann „schwere“ Lymphödeme sind. Ich hoffe, ich bleibe von diesen „schweren“ Lymphödemen verschont. Was also dagegen tun? Es gibt die sogenannte Lymphdrainage von speziell ausgebildeten Masseuren. Aber woher nehmen und nicht stehlen? Diese speziell ausgebildeten Masseure stehen natürlich nicht morgens vor meiner Wohnung, klingeln und freuen sich, dass sie mich massieren dürfen. Nein. Solche Masseure sind Mangelware und ich hatte das große Glück bei der Reha in Reichenhall in der dortigen „Alpenklinik“ einen solchen Spezialisten zu haben. Für mich war er der Mann mit den „goldenen Händen“.
Was also zu Hause tun? Ich habe mir angewöhnt, erst einmal einen kalten Halswickel zu machen, also ein kleines Handtuch unter dem kalten Wasserstrahl anfeuchten und dann um den Hals zu wickeln. Das tut schon einmal ganz gut und die Schwellung wird etwas weniger. Ob das medizinisch sinnvoll ist kann ich nicht sagen. Aber mir hilft es zumindest. Also mache ich es. Danach mache ich einige Übungen: das sogenannte „Apfelpflücken“. Ich stelle mich hin und tue so, als wenn ich von einem Ast Äpfel pflücken würde. Bei dieser Übung wird die Halsmuskulatur hin und her bewegt und das Ödem wird wieder ein bisschen weniger. Das klappt ganz gut. Die Regelmäßigkeit macht es aus. Gut sind auch Schulterkreisen nach vorne und nach hinten. In der Reha wurde das auch jeden Tag gemacht.
Das Ödem ist natürlich nicht nur äußerlich sichtbar und unangenehm. Auch im Hals selber nimmt es Raum ein und behindert das ungestörte Atmen und Schlucken. Zum Abschwellen habe ich mir deshalb das Lutschen von Wassereis angewöhnt. Natürlich selbstgemacht. Also haben wir Eisförmchen gekauft und verschiedene Sirupe. Besonders Waldmeister und Himbeere eignen sich. Sirup mit viel Sprudelwasser in die Förmchen gießen und über Nacht in die Kühlbox stellen. Es muss aber Sprudelwasser sein, damit das Eis schön porös wird. Mit normalem Leitungswasser wird das Eis steinhart und schmeckt nicht. Am nächsten Tag sind die leckeren eiskalten Eissorten fertig. Das hilft wirklich. Zur Erinnerung. Wer schon einmal eine Mandeloperation hatte, der durfte auch jeden Tag Eis schlecken. Was für eine Freude als Kind.
So, Weihnachten ist geschafft. Hurrah, ich lebe noch! An dieser Stelle muss ich einmal feststellen, dass die Diagnose Krebs oder Tumor nicht das Ende aller irdischen Tage bedeutet, also nicht „aus die Maus“. Millionen Menschen in Deutschland haben diese Diagnose erhalten. Wer sich an bestimmte Lebensregeln hält, der kann ganz gut mit dem Krebs, bzw. was nach der Operation oder Bestrahlung davon noch übrig ist, leben. Dazu gehört sicherlich bewusste Ernährung und eine allmähliche Gewichtsreduktion. Ich habe inzwischen 10 kg weniger „um die Hüfte“ und fühle mich damit ganz wohl. Inzwischen schmeckt mir Gemüse besser als Fleisch, Wurst und Käse. Ich liebe ein frisches Müsli. Aber hin und wieder verschmähe ich auch eine knusprige Ente nicht. Schon gar nicht zu Weihnachten. Und ein guter Käse und ein leckerer Schinken findet auch ab und zu Platz auf meinem Teller. Also nicht übertreiben. Von allem etwas, aber nicht zu viel. Alkohol habe ich ganz aufgegeben. Lediglich ab und zu ein „Helles“ darf schon mal sein. Rauchen geht gar nicht. Aber das habe ich Gott sei Dank schon vor Jahrzehnten beendet. Vor allem viel Bewegung, Gymnastik, Krafttraining und Zeit an der frischen Luft tut gut. Das ist auf jeden Fall schon einmal positiv für Körper und Geist. Die Diagnose Krebs kann also auch der Beginn eines völlig neuen und bewussteren Lebensabschnitts werden. Mein Tumor scheint weg zu sein bzw. wurde wegoperiert und Metastasen wurden keine gefunden. Ich hatte aber auch das Glück, dass mein Tumor relativ gut entfernt werden konnte, sofern eine Operation über 18 Stunden als „relativ gut“ bezeichnet werden kann. Aber eine Alternative gab es nie. Wäre ich hundert Jahre früher auf die Welt gekommen und hätte mir zu dieser Zeit diesen Tumor „eingefangen“, dann wäre das mein sicheres Todesurteil gewesen. Heutzutage haben wir zum Glück gute Kliniken. Die HNO Abteilung der St.-Elisabeth-Klinik in Straubing ist bestimmt eine der besten der Welt mit hervorragenden Ärzten und mit neuen chirurgische Techniken. Der bekannte bayerische Musiker „Haindling“ wurde hier dreimal operiert und wird dieses Jahr wieder öffentlich auftreten. Toll! Da möchte ich dann gerne dabei sein. Also liebe Leser, nie den Mut verlieren und mit positiver Einstellung leben.
Ich will wieder viel malen, malen und noch mal malen. Es ist schon eine großartige Erfahrung, wenn aus einer leeren weißen Leinwand, die auf der Staffelei steht, ein Gemälde entsteht. Manchmal wird das Gemälde völlig anders, als anfangs gedacht. Aus einem gemalten Tumor wurde ein Ausschnitt aus der Oper „Der Fliegende Holländer“. Und die Berge und Täler des Bayerischen Waldes sind auch ein interessantes Thema und warten auf eine neue Interpretation. Natur ist zeitlos. Und immer ein Gemälde wert.
Ist es nicht schön, ein Ziel zu haben? Denn wir haben verstanden: Gesundheit ist das Wichtigste im Leben. Geld allein reicht nicht aus (tut aber auch nicht weh).
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen ein erfülltes Neues Jahr und vor allem, bleiben Sie gesund, ich versuche es auch!
Ihr Hans Gröger